Bevormundung, Vertrauen: Bei der Bundestagswahl geht es um den politischen Gegensatz in größter Schärfe

07.09.2021

Politik, die für die Einzelnen und die Gemeinschaft möglichst viel Freiheit bei möglichst wenig Bindung will, schafft ein Höchstmaß an Beliebigkeit.

Als die Wählerinnen und Wähler bei der Bundestagswahl der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 2005 das Vertrauen entzogen haben, stand die Bundesrepublik nahe am Bankrott: fünf Millionen Arbeitslose, psychisch-emotionale Niedergeschlagenheit.

Nicht anders sah die Bilanz der NRW-Landesregierung unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft aus, als ihr die Verantwortungsgemeinschaft im Mai 2017 eine Absage erteilte: Stauland Nr. 1, die höchste Arbeitslosenquote aller westdeutschen Flächenländer, 144 Milliarden Euro Schulden in ungebremster Dynamik. Allein für den Schuldzins wurden 3 Milliarden Euro fällig: Geld, das weg war, bevor es für Schulen oder Polizei irgendeine Personalzusage gab, bevor eine einzige Straße saniert wurde.

Gescheitert war ein Politikansatz, der sich von Ordnungspolitik abwendet und sich anmaßt, „durchzuregieren“ anstatt Rahmen immer neu zu verabreden. Verordnungen waren das Instrument, Unfreiheit die Folge. Die Hochsetzung des eigenen ideologischen Anspruchs und das Misstrauen gegenüber den Mitmenschen machte das Land unsolidarisch.

Im Angesicht der Schuldenspirale wurden Einzelinteressen gegeneinander ausgespielt. Aufgegeben wurde die ehrliche Rechnung, dass jeder Euro, der in der Solidargemeinschaft verdient wird, nur einmal ausgegeben werden kann – und dass zu rechtfertigen ist, was an Hypotheken weitergegeben oder an anderer Stelle weggenommen wird.

Zwischen Land und Bund wurde ebenso der Keil getrieben wie in die kommunale Familie selber. Der Zusammenhang von Verantwortung und Haftung ging kaputt. Der „Kommunal-Soli“ ist nicht nur in Rheinbach in schmerzlicher Erinnerung, in Meckenheim oder in Wachtberg. Verlorenes Vertrauen neu zu verdienen, Haushalte in Ordnung zu bringen und den künstlich gemachten Gegensatz – nicht zuletzt zwischen „der Politik“ und „den Menschen“ – auszuräumen, war erste Aufgabe der Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel ebenso wie der NRW-Koalition. Stellvertretend für die Erfolge stehen erholte öffentliche Haushalte, die jetzt ermöglichen, in Krise und Katastrophe auszuhelfen.

In einer Kultur der Beliebigkeit verlieren zuerst die Kinder und die Älteren

Von dem Leitmotiv Zuhören. Entscheiden. Handeln. lässt sich Politik in christlicher Verantwortung leiten. Sie gründet auf dem gegenseitigen Vertrauen. Eine Bittstellerrolle gegenüber dem Staat, der vorgibt, was zu sein hat, lässt sich damit ebenso wenig verbinden wie die Parole ungehemmter Selbstverwirklichung: für die zuerst die Kinder und die Älteren bezahlen müssen. Solche Politik, die möglichst viel Freiheit bei möglichst wenig Bindung verheißt – für die Einzelne und den Einzelnen ebenso wie für die menschliche Gemeinschaft – schafft ein Höchstmaß an Beliebigkeit.

Wer die Programme genau liest, lässt sich über den alten politischen Gegensatz nicht täuschen, über den bei der Bundestagswahl entschieden wird. Ungedeckte Glücksversprechen und gefährliche Vereinseitigung auf der einen Seite: Umverteilung, Bevormundung, Limits. Manche Medienformate bauen Woche für Woche die Kulisse auf für den exklusiven Wahrheitsanspruch, der diskreditiert, was nicht ins Bild passt.

Der Psychiater, Psychotherapeut und Theologe Manfred Lütz hat kürzlich in einem Zeitungsbeitrag darauf hingewiesen, dass öffentlichkeitswirksame Automatismen, die von dem sorgfältigen Urteil (bewusst) Abstand nehmen, „nichts Gutes über die politische Kultur in unserem Lande“ sagen: „Wir stehen vor enormen politischen Herausforderungen, national und international. Dafür brauchen wir Politiker, die […] sich wirklich kundig machen und dann nach Abwägung aller wichtigen Aspekte kluge Entscheidungen treffen“ –, anstatt sich „von einem medialen Knalleffekt zum nächsten [zu] hangeln“.

Es wird nachvollziehbar, was gemeint ist: „Schon in der Corona-Krise hatte [Armin] Laschet sich geweigert, […]  den großsprecherischen [.. ] Besserwisser zu mimen. Er hatte die unsichere Datenlage transparent gemacht, auf der sich seriöserweise keine starken Sprüche aufbauen ließen, hatte nicht bloß Virologen und Epidemiologen zurate gezogen, sondern auch Pädagogen, Psychologen und Wirtschaftsexperten. Dieser besonnene Regierungsstil, der je nach neuer Datenlage auch Kursänderungen erforderte, kam freilich nicht gut an. Viele Menschen wollten in der Krise einen lautstarken Kapitän […].“

Flutkatastrophe, die Pandemie, Klimawandel, Armutsmigration: Unsere menschliche Gemeinschaft steht vor Herkulesaufgaben, wir erleben unmessbares menschliches Leid. Zu der ehrlichen Betrachtung gehört, dass es an fertigen Antworten fehlt. „Es erwacht“, so hat es NRW-Innenminister Herbert Reul gesagt, „eine Erkenntnis, die lange unbewusst war: Absolute Sicherheit gibt es nicht!“

In der Verantwortungsgemeinschaft aufeinander angewiesen: Wenn wir nicht zuhören, fehlt uns guter Rat

Nach den Vernichtungen durch das Hochwasser erleben wir in den zerstörten Ortschaften Tag für Tag, wie sehr wir auf den Willen einer/eines Jeden angewiesen sind, Bindungen einzugehen, füreinander Verantwortung zu übernehmen und im Dienst dieser Verantwortung die eigenen Fähigkeiten optimal zu entfalten und einzusetzen. Ohne das Zuhören fehlt wesentlicher Rat, um richtig entscheiden und handeln zu können. Es ist erste Pflicht des Ministerpräsidenten, der Minister und aller, die beizutragen vermögen, zu kommen und sich ein persönliches Bild zu machen.

 

Am vergangenen Montag habe ich an der Seite von Landrat Sebastian Schuster erneut eine Liste guter Anregungen aus den betroffenen Ortschaften mitgenommen, wie wir unseren Selbstschutz im Angesicht neuer Gefahren besser machen können, was wir vor Ort leisten müssen, wo Kreis, Land oder Bund in der Pflicht stehen. Es ist der Offenherzigkeit, dem konstruktiven Engagement und der Solidarität zu verdanken, dass wir uns Schritt für Schritt ein Stück vorarbeiten. Das kann das Verlorene nie ersetzen, aber in dieser Gemeinsamkeit liegt die entscheidende Voraussetzung, um gute Lösungen für eine bessere Zukunft zu finden.