Der Glaube an uns selbst entscheidet

21.09.2022

Am 14. September 2022 hat der Kreisverband Rhein-Sieg der Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) einen neuen Vorstand gewählt: Waltraud Dahs aus Königswinter ist mit einstimmigem Ergebnis unsere neue Vorsitzende. Ihr zur Seite stehen als stellvertretende Vorsitzende Anna Diegeler-Mai aus Siegburg, Dirk Beutel aus Sankt Augustin, Jerald Birenfeld aus Bad Honnef und Christoph Fiévet aus Wachtberg.

Die Neuaufstellung unserer CDA fällt in eine Zeit, die, gemessen an den gemeinsamen Erfahrungen, die wir haben, vorbildlos kompliziert ist. Die Pandemie ist nicht zu Ende. Mit dem Schadensersatz, wo er möglich ist, mit dem Bedürfnis der seelischen Erholung und gleichzeitig mit dem konzentrierten Aufbau von neuem Schutz dauert die Bewältigung der Hochwasserkatastrophe an. Der Putin-Krieg in der Ukraine verursacht täglich größten Schmerz.

Mit Anspannung sehen wir dem Winter entgegen. Es geht existenziell um warme Wohnungen, um bezahlbares Essen, bezahlbare Energie, sichere Arbeitsplätze. So hat es der bayerische Ministerpräsident, Dr. Markus Söder, der Bundesregierung auf dem Bundesparteitag der CDU am 10. September 2022 in Hannover ins Aufgabenheft diktiert: „Die breite Mitte [..] ist vom Abstieg bedroht.“

Auf dem Bundesparteitag, in dem unser CDU-Kreisverband mit zwölf Delegierten vertreten war, hat auch Karl-Josef Laumann das Wort ergriffen. Als Bundesvorsitzender der CDA hat er dafür geworben, „dass der Wettbewerb in unserem Land nicht stattfindet über die Frage, wer findet die billigsten Arbeitnehmer, sondern dass der Wettbewerb stattfindet über die Frage von Qualität, Innovation, Vertrauen und Zuverlässigkeit – das sind doch die Dinge, die unser Land zueinander bringen.“

 

Sozialpolitik, die zu alten Ansprüchen immer nur neue hinzufügt, missachtet die Personalität und zerstört den sozialen Frieden

Einmal mehr und immer wieder: Um nicht nur den kommenden Winter gut durchzuhalten, ist unsere Gemeinschaft auf ihr Zusammenstehen, ihren Mut und ihre Initiative angewiesen. Am 27. August 2022 ist leider unser langjähriger Vorsitzender im CDU-Kreisverband Rhein-Sieg, Karl Lamers, verstorben. Nicht allein als außenpolitischem Sprecher der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion haben wir ihm wertvolle Orientierungen zu danken. Solidarität, so hat Karl Lamers gelegentlich bemerkt, sei zwar ein „abgegriffenes Wort, aber es passt immer – [und] ist keine Einbahnstraße“. Das Anliegen, eine freiheitliche Wirtschaftsordnung und eine solidarische Gesellschaft zusammenzudenken und zusammen zu machen, hat ihn zeitlebens bewegt. Für die Bereitschaft, sich einzubringen - so hat er es ausgedrückt - sei die Hoffnung entscheidend, die wir haben und einander geben.

Wenn Selbstwertgefühl, wenn der Glaube an uns selbst verloren wird, bleibt Hoffnung auf der Strecke. Eine Politik, die Verängstigung funktional sät, um sich dann als ordnende Macht zu empfehlen, die daraus errettet, erstickt eigene Initiative, Entdeckungsfreude, persönlichen Erfolg. Mit ihr anvertrautem Geld – mit dem in der Solidargemeinschaft erarbeiteten Geld oder mit der bei der Bank eingegangenen Schuld – schafft sie neue Bittstellerrollen. Hilfe bleibt sie schuldig, wo sie gebraucht wird, und leistet sie dort, wo sie weniger nötig ist. Eine Krisenstrategie solcher Politik erlaubt sich die Beliebigkeit, außer Acht zu stellen oder Rücksicht zu nehmen: ob im Blick auf Unternehmen, Rentner oder Studierende.

In das Solidarsystem eingezahlte Beiträge sollen für ein Bürgergeld neu und mehr genutzt werden. Ob mit dem Effet von großzügigerem Ermessen mehr Hilfe entsteht, aus persönlicher Drangsal herauszufinden? Inmitten der Zweifel hat „Vorwärts“ die eigene grundsätzliche Überzeugung definiert. „Bürgergeld statt Hartz IV: Abschied vom Gängel-Staat“ – die Autoren des SPD-Parteiorgans machen keinen Hehl aus ihrer eigenen „Wertschätzung“ solidarischer Anstrengung.

Im Hochsommer wurde eilig an Voraussetzungen gearbeitet, um 2.000 Fachkräfte aus der Türkei für die Abfertigung an unseren Flughäfen zu gewinnen. Mehr als 2,5 Millionen Mitmenschen waren gleichzeitig in der Bundesrepublik ohne Arbeit. Viele von ihnen ringen um neue Perspektiven. Der Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA), Guido Zöllick, fordert “schnelle [..] Maßnahmen zur Mitarbeitergewinnung“. Weil Personal fehlt, werden Mittagstische geschlossen, Speisekarten gekürzt. Ende Juli 2022 kündigt die Deutsche Bahn (DB Regio) mit Konsequenz bis zum 18. September 2022 an: „Aufgrund der angespannten Personallage durch einen hohen Krankenstand bei DB Regio NRW kommt es zu Einschränkungen im Zugverkehr.“ Das Zurück zur Schuldenbremse wackelt. Über die Tilgung der Pandemierettungsschirme ist damit noch nicht gesprochen.

So sehr Vorsicht vor übereilten Schlüssen geboten ist, so sehr jeder Fall individuell zählt: Viele Merkmale in unseren Tagen erscheinen als wenig ermunternd für das menschliche Anliegen, die eigene Begabung in all ihren sozialen Bezügen zu entfalten. Oswald von Nell-Breuning, der Ideengeber der katholischen Soziallehre aus Trier, hat die Niedergeschlagenheit verdeutlicht, die daraus wird, „auf Bedienung angewiesen“ zu sein. Und umgekehrt: wie viel für menschliche Persönlichkeit daran liegt, „etwas zu leisten, das uns als achtbare Glieder der menschlichen Gesellschaft erweist und damit zugleich unsere eigene Selbstachtung bestätigt; wir haben das Bedürfnis, etwas Vernünftiges, Rechtschaffenes zu vollbringen, etwas, das die Anspannung unserer Kräfte erfordert, sie aber auch lohnt, das nicht Spiel ist.“

Es ist Aufgabe christlich verantworteter Politik, Hindernisse für die Freiheit so verstandener menschlicher Selbstentfaltung zu überwinden. Zu den drei Prinzipien der christlichen Gesellschaftslehre gehört – neben der Solidarität und der Subsidiarität – die Personalität: Es ist zu gewährleisten, dass alle die unverwechselbare persönliche Eigenart entfalten und in den Dienst am Nächsten einbringen können. Wo die Kraft nicht reicht, wo es eine solidarische Verantwortung gibt, muss die Gemeinschaft einstehen. Aber jede, die es kann, und jeder, der es vermag, hat auch die Pflicht, nach Kräften etwas zurückzugeben.

Bedingungslose Umverteilung nimmt hier den Grund und dort den Mut, für sich selbst und für die anderen einzutreten

In seiner Enzyklika Fratelli Tutti, die er im Oktober 2020 vorgestellt hat, entwickelte Papst Franziskus seine Gedanken von der „soziale Freundschaft“: Wer als Entscheider seine Mitbürger „verachtet, etabliert in seiner eigenen Gesellschaft Kategorien einer ersten und einer zweiten Klasse. […] Auf diese Weise verneint er, dass es Platz für alle gibt. […] Es gibt ein Globalisierungsmodell, das […] versucht, alle Unterschiede und Traditionen in einem oberflächlichen Streben nach Einheit zu beseitigen. […] Dieser falsche [.] Traum endet damit, dass die Welt der Vielfalt ihrer Farben, ihrer Schönheit und letztlich ihrer Menschlichkeit beraubt wird. Denn die Zukunft ist nicht einfarbig. Wenn wir den Mut dazu haben, können wir sie in der Vielfalt und in der Unterschiedlichkeit der Beiträge betrachten, die jeder einzelne leisten kann.“

Auf diese Beiträge kommt es an. Den Fleiß dafür, die Leistung und die Begeisterung zu unterstützen, ist wesentliche Aufgabe von Politik aus christlicher Verantwortung. Wer die Unterschiedlichkeit dem „oberflächliche Streben nach Einheit“ opfert, die haushälterische Nachhaltigkeit mit bedingungslosen Segnungen über Bord wirft und den Sozialneid schürt, der lässt zu, dass die Verantwortungsgemeinschaft in zahllose Egoismen zerfällt. Dann wird Solidarität „Einbahnstraße“. Dann wird der „Wettbewerb um den billigsten Arbeitnehmer“ wirtschaftliches Regime.

Die Neuaufstellung der CDA im Rhein-Sieg Kreis ist für uns auf dem Weg der Erneuerung ein ganz wichtiger Schritt: mit Joachim Nock als Geschäftsführer, Martin Görg als Schatzmeister, Ralf Simm als einen Vertreter und mit zwölf Beisitzerinnen und Beisitzern. Es hat mich persönlich sehr gefreut, bei der Kreismitgliederversammlung in Sankt Augustin dabei sein und den Schwung mitnehmen zu dürfen. Auf dem CDU-Bundesparteitag in Hannover hat Karl-Josef Laumann am Ende seiner Rede gesagt: „Der Spruch, dass Arbeit sich lohnen muss, dass ein Mensch, der fleißig ist, auch auf einen grünen Zweig kommen muss, […] damit haben wir doch alle fleißigen Menschen in diesem Land gemeint, und das muss auch so bleiben.“ In dieser Überzeugung, die wir in der Union teilen und für die unsere CDA außerordentlich einsteht, bin ich sehr dankbar für die neue Anfangskraft – und sehr gespannt auf alle gemeinsamen Projekte.