Europabezug der Landesverfassung gehört zu der Identität Nordrhein-Westfalens

18.06.2020

Die Gemeinschaft sichert die Interessen ihrer Bürgerinnen und Bürger in der globalen Welt

„Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen.“ Am 9. Mai 2020 hat sich die Rede zum 70. Mal gejährt, mit der der französische Außenminister Robert Schuman angeregt hat, die Produktion von Kohle und Stahl in einer „Montanunion“ zusammenzulegen: „Der Beitrag, den ein organisiertes und lebendiges Europa für die Zivilisation leisten kann, ist unerlässlich für die Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen.“

Fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war Robert Schumans Rede ein Hoffnungsschimmer. Deutschland war zu diesem Zeitpunkt weder Mitglied der NATO noch der Vereinten Nationen. Die Montanunion, die „Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (EGKS), wird am 18. April 1951 durch den Vertrag von Paris begründet. Partner sind – neben Italien – unsere direkten Nachbarn Belgien und die Niederlande sowie in nächster Nähe Frankreich und Luxemburg: Länder die im Zweiten Weltkrieg von Deutschland besetzt und schwerstem Leid ausgesetzt waren.

An diesem Donnerstag, 18.06.2020, jährt sich ebenfalls zum 70. Mal die Annahme der nordrhein-westfälischen Verfassung durch eine Volksabstimmung: am 18. Juni 1950, mit 3.627.054 zu 2.240.674 bei 496.555 ungültigen Stimmen.

Am Donnerstag kommender Woche, 25.06.2020, berät der nordrhein-westfälische Landtag einen Gesetzentwurf zur Aufnahme eines Europabezugs in den Artikel 1 der Landesverfassung, den die Fraktionen von CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS90/GRÜNE gemeinsam eingebracht haben: „Nordrhein-Westfalen trägt zur Verwirklichung und Entwicklung eines geeinten Europas bei, das demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen sowie dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist, die Eigenständigkeit der Regionen wahrt und deren Mitwirkung an europäischen Entscheidungen sichert. Das Land arbeitet mit anderen europäischen Regionen zusammen und unterstützt die grenzüberschreitende Kooperation.“

Der nordrhein-westfälische Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales, Dr. Stephan Holthoff-Pförtner, hat deutlich gemacht: „Der erste Artikel einer Verfassung definiert die Identität des Landes. Ihn zu ändern ist ein historischer Schritt. […] Europa gehört zum Identitätskern des Landes Nordrhein-Westfalen.“

Der europapolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Oliver Krauß, erklärt: „Die Pandemie-Situation zeigt den Zusammenhalt und den effektiven Schutz in unseren nationalen Staaten. Aber ebenso macht sie deutlich, dass der Nationalstaat, für sich alleine genommen, nicht hinkommt. Die Pandemie macht an keiner Grenze halt, Hotspots sind nirgendwo zu ertragen, zerrissene Lieferketten erzwingen allerorten Stillstand. Der Erfolg ist auf den Austausch angewiesen, auf den gemeinsamen Impfstoff und die Solidarität, wenn Ressourcen knapp werden. Ebenso wenig kann kein einzelnes Land Klimaziele erreichen, Friedensordnungen stiften, die digitale Agenda erfolgreich definieren, die sozialen Standards in der Weltstaatengemeinschaft oder die Finanzmärkte.“

Oliver Krauß verweist auf den geschichtlichen Erfolg der Kooperation in Europa: „Die Gemeinschaft hat ihre Versprechen gehalten. Der weitgehende Wohlstand im Binnenmarkt und die Friedensordnung der Nachkriegsgezeit sind historischer Glücksfall. Was offene Grenzen wert sind, haben uns die letzten Wochen in dramatischer Weise vor Augen geführt.“

Die gemeinsame Ordnung, die auf der „Einheit in Vielfalt“ gründet – auf dem positiven Bild vom Menschen, auf Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Subsidiarität und Föderalismus –, hat mehr Europa möglich gemacht, als je zu erhoffen war: wirtschaftlich, politisch und vor allem im zwischenmenschlichen Bereich.

Oliver Krauß: „Nordrhein-Westfalen wirkt über den Deutschen Bundesrat an der europäischen Rechtsetzung mit, nimmt Einfluss über den Ausschuss der Regionen. Über unsere Grenzen zu den Niederlanden und zu Belgien hinweg teilen Tausende den Alltag, die Arbeit, Ausbildung und Freizeit. Und ebenso tagtäglich ist der Austausch mit den Menschen in Großbritannien, unserem Gründungspaten, und nach Frankreich oder Luxemburg. Die unmittelbare, selbstverständliche Umsetzung europäischen Rechts ist Grundlage unseres guten Zusammenlebens.

Mit den Freundschaften gehen die Lieferketten lebendig über die Grenzen hinweg, die Versorgungs- und Verkehrswege. Wirtschaftlich ist Nordrhein-Westfalen zum Beispiel auf die Hinterlandanbindung zu den Überseehäfen in Rotterdam und Antwerpen angewiesen, als Logistikstandort, als Ziel-, Quell- und Transitland, mit der Vernetzung zu dem Duisburger Hafen, zu der Chemie- und Stahlindustrie.“

Die Europäische Union steht geschichtlich vor ihren bislang größten Herausforderungen: angesichts weltweit zerbrechender Ordnungen, nationaler Reflexe auf die Corona-Situation, des Populismus, des Brexits, der Fluchtbewegungen, zu denen Not und Krieg führen. In dieser Situation ist es richtig, die Identität, die Nordrhein-Westfalen – seine Bürgerinnen und Bürger – innerhalb der EU als Werteunion hat, in der Landesverfassung dazuzunehmen.

Oliver Krauß: „Die Einbindung des Europabezugs ist zudem mit dem Auftrag verknüpft, Europa erlebbar zu machen, dies- und jenseits unserer Grenzen, in Begegnung und Kooperation, mit voranschreitender Erleichterung in den einzelnen Lebenssituationen, die konkret zu erfahren ist.“

Mit dieser Vorwärtswendung wird die Identität Nordrhein-Westfalens – seiner Gemeinden, Orte und Menschen – vollständig. Im Wortlaut des Gesetzentwurfs: „Der Beitrag Nordrhein-Westfalens zur Verwirklichung und Entwicklung der europäischen Integration dient zugleich dem Ziel der Präambel der Landesverfassung, ‚dem inneren und äußeren Frieden zu dienen‘. Damit entspricht eine Aufnahme eines Europabezugs in die Landesverfassung auch dem Zweck der bisher bestehenden Regelungen.“