Kein Frieden ohne „schöpferische Anstrengungen“

11.05.2023

Die Erklärung von Außenminister Robert Schuman vor 73 Jahren liefert „Echolote“ für die Bestimmung der Gegenwart

Vor wenigen Tagen, am 9. Mai 2023, lag es 73 Jahre zurück, dass der damalige französische Außenminister Robert Schuman vorgeschlagen hat, die französische und die westdeutsche Produktion von Kohle und Stahl zu einem Gemeinschaftsprojekt zu machen: eine Gründungstat für die heutige Europäische Union. Die historischen Quellen halten einen vorhergehende Richtungswechsel im Außenministerium Frankreichs fest: jetzt in eine Periode einzutreten, „in der das vorherrschende Verlangen nicht mehr der Bezug auf die Vergangenheit und […] ihre Wiedergutmachung sein soll, sondern die Vorbereitung der Zukunft".

Die Worte, die Minister Schuman am 9. Mai 1950 im französischen Außenministerium am Quai d'Orsay sagt, sind voll von dem Willen, hart zusammenzuarbeiten, um Teilung zu überwinden und Frieden und Freiheit weiterzutragen:

„Die Schaffung dieser mächtigen Produktionsgemeinschaft, die allen Ländern offensteht, die daran teilnehmen wollen, […] wird der gesamten Welt ohne Unterschied und Ausnahme zur Verfügung gestellt werden, um zur Hebung des Lebensstandards und zur Förderung der Werke des Friedens beizutragen.“ 

Und heute? Jede menschliche Gemeinschaft muss sich immer wieder entscheiden, was sie für sich will: als Mission für alle ihre Generationen, als Zielbild für ihre Kinder und Enkel. Mit „negativer Politik“, die Gründe nur im Gewesenen sucht und Besitzstand verwaltet, kann auch die moderne Gesellschaft dauerhaft nicht bestehen.

Der Blickwechsel im französischen Außenministerium leitet Robert Schuman in seiner Rede am 9. Mai 1950 zum festen Beschluss: „Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen.“

Unter geänderten Vorzeichen sind solche „schöpferischen Anstrengungen“ gleichfalls Elixier für unsere heutigen Gesellschaften, in denen Ordnungen zerstört werden und Wandel Angst macht. Ein äußerstes Gegenbild zu der sich erneuernden Gesellschaft ist eine Gesellschaft „des Niedergangs“, für deren Skizze der Historiker Joachim Fest in einem Porträt die Striche zieht: „das Besitzstandsdenken und den Missbrauch des Sozialsystems, den angeblichen Leistungsdruck, die fatale, zur fortschreitenden Erstarrung führende Bürokratisierung, die Reformfeigheit aller Parteien“. Dazu der verantwortungslose Umgang mit dem Geld, das dem Staat anvertraut ist, und die widrige „Kunst“ von Politik, Nöte „mit materiellen Versprechen zuzudecken“.

Schicksal und neue Gefahr von außen, Leistungsstörungen und Orientierungsnot: Das Unterscheidungsvermögen zwischen den Wegen in gesellschaftliche Defensive oder Erneuerung in Freiheit ist heute neu zugespitzt, „schöpferische Anstrengungen“ selbst zu übernehmen oder „die anderen“ zahlungspflichtig zu stellen, den „Staat“. 

Die Erholung des Landeshauhalts in der Regierungsjahren ab 2018, mit der „schwarzen Null“ als Leitmarkierung, hat Reaktionsvermögen in NRW erweitert: in der Pandemie, nach der Hochwasserkatastrophe und jetzt in Folge der Putin-Aggression. Der Einsatz von persönlicher Zeit und eigenen Mitteln unterstützt im Zusammenleben da, wo staatliche Reparaturarbeit längst an ihre Grenzen kommt, mit toller Solidarität.

Durch die Krisen hindurch wird für die Zukunft mobilisiert: der Umbau unserer Versorgungssysteme, die enormen Integrationsleistungen vor Ort, die Stärkung der Sicherheitsarchitektur, die neue Wertschätzung für die heimische Produktion, die Notwendigkeit, zusammenzuhalten und Kompetenzen dazuzugewinnen. 

Triftige Gründe auf beiden Seiten: Fortschritt ist nicht kompromisslos

Die Verabredung im Wandel, Vorhaben so umzusetzen, dass niemand hinterherlaufen muss, ist auf den Kompromiss angewiesen: innerhalb der CDU als Volkspartei, innerhalb der verschiedenen Regierungskonstellationen, zwischen dem städtischen und ländlichen Raum und nicht zuletzt mit den Kommunen. Denn bei uns in den Städten, Gemeinden und Ortschaften wird Wandel konkret, bewährt sich Demokratie, wird Teilhabe zum Erfolg – und sind Lasten dafür besonders zu tragen.

Am vergangenen Montag, 8. Mai 2023, hat der nordrhein-westfälische Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr, Oliver Krischer, in Bornheim-Merten einen Zuwendungsbescheid für die Weiterplanung des zweigleisigen Ausbaus der Stadtbahnlinie 18, Vorgebirgsbahn, übergeben. Wenige Tage vorher haben sich das Land NRW und der Bund auf die beschleunigte Realisierung von 66 Autobahnprojekten in NRW verständigt: dort namentlich, wo es Engpässe gibt und auf Netzwirkung besonders ankommt. In beiden Fällen kommen Maßnahmen weiter, für die es große soziale, ökologische und ebenfalls wirtschaftliche Gesichtspunkte gibt. Sie sorgfältig und konfliktfähig in gute Verbindung zu bringen, ist die Kunst demokratischer Auseinandersetzung. Ein bloßer Protest hilft ihr oft weniger.

 

Die Worte, die Robert Schuman vor 73 Jahren gefunden hat, sind „Echolote“ für die Bestimmung in der Gegenwart. Staatlich verbürgte Solidarität wird bis in äußerste Anspannungen erforderlich bleiben, um in Krise und Nachteil den je größeren Schaden abzuwenden. Entscheidend aber sind unsere „schöpferischen Anstrengungen“: der Mut, an den ganz verschiedenen Orten die Beiträge zu leisten, die jede und jeder erbringen kann – mit der Freude daran, mit dem Respekt und mit dem Lohn dafür. 

Die Kreditmarktverschuldung allein des Landes NRW betrug zuletzt rund 160 Milliarden Euro. Die Zinsausgaben werden mit rund 3,5 Milliarden Euro im Jahr 2026 prognostiziert. Stets sind Schulden, die gemacht werden, gegenüber denen zu rechtfertigen, die sie zurückzahlen müssen: als Hypothek für die nachkommenden Generationen. Von den „schöpferischen Anstrengungen“ aber hängt es jetzt ab, die Lebensweisen der Zukunft unbeschwerter zu machen: überall und so gut wir es können.