Mit aller Kraft für ein gutes Jahr 2023: Keine Partei und keine Ideologie steht am Anfang

16.01.2023

Exklusive Zielsetzungen und Kompromisslosigkeit sind gegen das gute Zusammenleben gerichtet

Die Flucht der Heiligen Familie, der Kindermord in Bethlehem, schließlich Golgatha: Schon das eigentliche Weihnachten beendet tragische Geschichte nicht. Unausgesetzt zerstören Menschen wie der biblische König Herodes „die Arglosigkeit von Kindern durch Sklavenarbeit, Prostitution und Ausbeutung, Kriege und Zwangsmigration" (Papst Franziskus).

Und ebenso heute. In unterschiedlichster Dimension haben Aggressionen die Festtage und den Jahreswechsel 2022/2023 zutiefst beunruhigt: ob die ungestoppte Brutalität des Putin-Kriegs, ob die feige Gewalt gegenüber Mitmenschen, die in der Silvester-Nacht die Fürsorge für Schutz und Ordnung übernommen haben.

Der Winter mit der vordinglichen Aufgabe, Versorgung und Arbeitsplätze zu sichern, ist nicht ausgestanden. Im Angesicht der krisenhaften Entwicklungen bleiben öffentliche Haushalte enorm angespannt: mit der Last des Schuldzinses und mit der Verantwortung, solche Hypothek später abzutragen. Der Vorstoß der Bundesfamilienministerin, den Paragrafen 218 des Strafgesetzbuchs, die Strafbewehrung von Schwangerschaftsabbrüchen, abzuschaffen, zielt existenziell auf die Gewissheitsstrukturen unseres Zusammenlebens – und gibt im Zeitenwandel prekär auf, in der Wägung von menschlichem Leben letzte Gründe neu aufzusuchen und zu bekennen.

In den Vereinigten Staaten rühren politische Zuspitzungen an institutioneller Handlungsfähigkeit. Das Regime von Terror und Gewalt im Iran enttäuscht die Hoffnung auf eine „besinnliche Zeit“ ebenso wie die Skrupellosigkeit in der Regierungsverantwortung Chinas, wie die ungebremsten Herausforderungen menschlicher Verelendung, der Armutsmigration, des Klimawandels.

Es geht um "freies Mittun"

Heimatlosigkeit. Stall. Flucht. Was von Bethlehem berichtet wird, ist keine irdische Machtdemonstration. Vielmehr, so ist es bemerkt worden, stellt Weihnachten vor die Entscheidung, die nur in Freiheit wirklich geschehen kann: dazu Ja zu sagen oder auch Nein. Der Theologe Karl Barth hat zu dieser Freiheit pointiert: Gezwungene Hörer „der Weihnachtsgeschichte und ein gezwungenes Mittun in dieser Geschichte, die ja unsere eigene Geschichte ist, das wäre nichts. Es geht um ein freies Hören und um ein freies Mittun in dieser Geschichte“.

Das Ja zu Weihnachten ist das Ja zu der Verheißung, dass Leben nicht endend in sich selbst zurückversinkt. Damit zusammen stimmt die Überzeugung, die Politik aus christlicher Verantwortung teilt: dass jeder Mensch als unverwechselbare Person ein einmaliger Gedanke Gottes ist, der den Reflexen von Zerstörung und Übervorteilung nie anheimfallen darf.

Die Entscheidung für „ein freies Mittun in dieser Geschichte“, die aufgeweckte Freude, Neues anzufangen, und die Festigkeit in dem Entschluss, einander Sicherheit zu geben: Das ist Vermögen von Weihnachten.

Moralisierende Anschauung schätzt anderen Standpunkt gering

Die Protestbewegung in Lützerath hat gedanklich einen Kompromiss ausgeschlagen, zu dem der vorgezogene Kohleausstieg und die Sicherung von fünf Dörfern gehört. Die größere Gemeinschaft, mit menschlicher Kraft von Polizei, Rettungskräften und öffentlichen Mitteln ist eingetreten – und doch konnte Aggression nicht ausgeschlossen werden. Noch als Verletzung geschehen war, stoppten Bezichtigung nicht. Die Verärgerung von Innenminister Herbert Reul darüber ist nachzudenken, „dass immer Behauptungen aufgestellt werden, ohne die Nachweise zu führen“.

Bemerkt werden mediale Inszenierung, persönliche und moralische Stilisierung: Sie kommen zum Teil aus „telegenen“ Lebenswirklichkeiten, die wenig gemeinsam haben beispielsweise mit dem Tagewerk, das 1,3 Millionen Mitmenschen an den Standorten industrieller Verarbeitung in NRW leisten. Einkommen und Familienexistenzen hängen daran.

Mit dem Anspruch, den Kompass "guter Gesinnung" zu halten, die auch wichtiger gemacht wird als positive Handlungserfolge, geht Geringschätzung einher. Professor Michael Hüther, der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, äußert in der Konsequenz die Sorge: „dass dieses alles in einer Weise vorgetragen wird, wo man sagt, uns interessiert alles nicht, was der demokratische Rechtsstaat hervorgebracht hat […]. Das [Bezugsbild sind die Eskalationen in Lützerath] sind Haltungen, die wir an vielen Ecken des deutschen politischen Diskurses finden. Es ist nicht so relevant, das irgendwelche Leute das beschlossen haben, sondern meine [persönliche] Moral, meine Haltung dazu, ist das Entscheidende.“

Exklusivität bei der Zielsetzung und Kompromisslosigkeit in der Zieldurchsetzung bedrohen das Gemeinwesen augenfällig. Mit der Maßlosigkeit wird in Kauf genommen, gute Inhalte zu beschädigen. Wiederum Minister Herbert Reul: „Mein Appell an Luisa Neubauer: Sie kann sich doch klar abgrenzen. Aber so schadet Frau Neubauer dem Ansehen des Klimaschutzes! Und wenn die Veranstalter der Demonstration von der Bühne aus dazu aufrufen, Lützerath zu stürmen, dann ist Sense!“

Wirkliche Gemeinschaftsprojekte haben die große Chance, Begeisterungsprojekt zu sein

Um im Angesicht neuer Risiken zu bestehen und in neuen Lebensweisen zusammenzukommen, braucht es alle, denen das 21. Jahrhundert gehört: alle Generationen, in einer funktionierenden und zu erlebenden Demokratie. Nicht zuletzt bei uns im Rhein-Sieg haben Mitmenschen immer wieder Kraft gefunden und Mut gemacht, Grenzen zu überwinden, gemeinsam etwas Neues zu beginnen: wirtschaftlich lohnend, fair und rücksichtsvoll im sozialen Leben. Aus dem Bewusstsein, dass weder eine Partei noch eine Ideologie den Anfang macht – sondern dass es auf alle ankommt und dass wir einander brauchen –, ist über Zerrissenheit hinweg neues Gleichgewicht entstanden: nach der Unwetterkatastrophe, infolge der Pandemie, bei den Aufgaben der Integration. Das ehrliche Bild, die Gemeinschaft in Sicht, war und ist dafür eine wesentliche Grundlage. Und gleichfalls die Freude und die Neugier am Dialog: sich auszutauschen, zu überzeugen, zu entdecken, dazuzulernen.

Auf diese Offenherzigkeit wird es in dem neuen Jahr 2023, dem ungeheure Spannungen von Anfang an mitgegeben sind, außerordentlich ankommen: mit dem denkenden Umgang, dem konstruktiven Zweifel und der weiterhelfenden Tat. Dabei haben Gemeinschaftsprojekte, lohnend für alle, das große Potential, Begeisterungsprojekt zu sein  – mit der Courage zu verwandeln und dem Glück von Erfüllung.