Nicht „hoch zu Ross“, aber auf Augenhöhe

10.11.2020

Sankt Martin und der „elfte Elfte“ in der Zeit der Pandemie

Dieses Innehalten und diese Zuwendung haben Geschichte gemacht: „Sankt Martin zog die Zügel an / Sein Ross stand still beim armen Mann.“ Die Biografie und die Legenden um den dritten Bischof von Tours wirken durch die Jahrhunderte: Er wird Nationalheiliger des Frankenreichs. Sein Name bezeichnet Klöster, Städte, Inseln. Neben dem Erzengel Michael, dem Drachentöter Georg und dem um wenige Jahrzehnte älteren Nikolaus von Myra steht der Begründer des abendländischen Mönchstums ganz vorne in den Heiligengalerien, die das Abendland überwölben.

Martin Luther trägt den Namen des um 316/317 geborenen Römer-Sohnes, oder ebenfalls Martin Luther-King. Im Erzbistum Köln werden heute fast 40 „Martinspfarreien“ erwähnt: die Rheinbacher Kirchen gehören in Geschichte und Gegenwart dazu, Flerzheim, Hilberath, die Pfarrgemeinde in Wormersdorf, Sankt Martinus in Swisttal-Ollheim, Sankt Martin in Bornheim-Merten.

Das „Fest des heiligen Martin“, der „Martinstag“, und gleichfalls der Auftakt der neuen Karnevalssession können an diesem Mittwoch, dem 11. November 2020, nicht wie gewohnt gefeiert werden. Die ungebremsten Infektionsketten und die Corona-Schutzverordnung, die auf sie bezogen werden muss, lassen das nicht zu. Statt der selbstgebastelten Laternen, der Martinsfeuer und fröhlichen Umzüge, statt der Zusammenrückens in den Eckkneipen oder dem Weg zum „Aldermaat“ in Köln, erlegt uns die Sorge um die und den Nächsten auf, in diesem Jahr gleichfalls innezuhalten – wie Sankt Martin das getan hat.

Denn Sankt Martin macht eben nicht weiter, wie bisher – egal, wie es den anderen ergeht. Obzwar er selber von der Armut, von „Schnee und Wind“, zunächst unangefochten ist: „Sein Ross, das trug ihn fort geschwind / Sankt Martin ritt mit leichtem Mut / Sein Mantel deckt ihn warm und gut.“

Trotzdem das Stoppen, die persönliche Zuwendung: Das ist tieferer Kern des Sankt Martinsfestes. Auch der Karneval weiß um dieses Von-Angesicht-zu-Angesicht: “Mer schenke ihr en paar Blömscher, denn die ahl Frau Schmitz, die es esu nett.“

In Bonn hat sich die Erinnerung an den ersten Sankt Martins-Zug in der Nachkriegszeit erhalten. Die Straßen liegen noch „voller Trümmer“, als sich eine kleine Schar auf den Weg macht. Der Fackelschein fällt auf Häuserwände, die die „Wunden des Krieges“ nicht verbergen. Aber die Augen der Kinder und der Erwachsenen leuchten auf, der „seelische Druck“ des schweren Jahres entweicht.

Dass das Begeisternde des Sankt Martinsfestes und des Karnevals nicht zuerst das organisiert jubelnde Fest ist – nicht „hoch zu Ross“ –, ist unter dem Diktat der Pandemie besonders nachzuempfinden. Wer am frühen Sonntagabend, 08. November 2020, auf den Höhenzügen des Vorgebirges unterwegs war, konnte von Kardorf aus unvermittelt die vertrauten Klänge der Sankt Martins-Lieder hören: wenn ein kleiner Umzug auch ohne Publikum auskommen musste. In Alfter verteilt der Ortsausschuss die „Martinsstuten“ wie gewohnt – denn „unsere Kinder sollen nicht unter dieser Situation leiden“. In Villip macht sich Sankt Martin auf den dieses Mal ungesäumten Weg. Der „Weckmann“ hält das Brauchtum lebendig, das Singen, die Laternen in den Fenstern. Drumherum wird die Geschichte von Sankt Martin weitererzählt: von dem wohlhabenden Reiter, der kurz entschlossen, "unverweilt", von seinem Pferd herabsteigt.