Rheinbach gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus

01.02.2024

Heute. Wir. Uns. – „Respekt wird von Menschen genährt.“

„Die Wälder sind verschwunden, / die Häuser sind verbrannt.“ Im Foyer des Rathauses der Stadt Rheinbach gedachten Schülerinnen und Schüler, Mitbürgerinnen und Mitbürger und Repräsentanten der demokratischen Parteien der Opfer des Nationalsozialismus. 79 Jahre zuvor, am 27. Januar 1945, hatten russische Soldaten das „Konzentrationslager“ von Auschwitz befreit. Mindestens 1,1 Millionen Menschen sind alleine dort, in den „Lagern“ von Auschwitz und Birkenau, umgebracht worden. In der großen Überzahl waren die zu Tode gefolterten Mitmenschen jüdischer Herkunft.

Im heutigen Stadtbild erinnern 36 Stolpersteine an Menschenleben aus Rheinbach, die im fabrikartigen Massenmord vernichtet wurden. „Die Stadt Rheinbach ist wieder rassenrein geworden“, ist das teuflische Echo des seinerzeitigen NS-Bürgermeisters Joseph Wiertz.

Die Diktatur in Deutschland erfasste alle Lebensbereiche. Kein Milieu als Ganzes hat der NS-Herrschaft widerstanden, macht der Landtagsabgeordnete Oliver Krauß die bittere Erkenntnis geschichtlicher Forschung deutlich: „Wer Haltung bewahrt hat, wer sich dem Verbrechen entgegenstellte, ging Wege am Ende alleine.“

Der Friseurmeister Karl Anton Degen, der sein Friseurgeschäft in der Hauptstraße hatte und jüdische Kundinnen und Kunden einfach normal weiterbediente, stirbt am 30. August 1943 im KZ Natzweiler-Struthof. Sein Weg ins Rheinbacher Zuchthaus wurde „zum entwürdigenden Spießrutenlaufen, vorbei an feixenden Volksgenossen“. Peter Mohr hat die Entmenschlichung sichtbar gemacht, die kein Halten fand. 

„Hier wohnte Benedict Schweitzer“, Jahrgang 1876, erinnert ein Stolperstein vor dem Haus Unterdorf 54 in Wormersdorf an den einstmaligen Metzger, der einen kleinen Viehhandel betrieb. „Hier wohnte Johanna Schweitzer“, steht auf dem Stolperstein daneben. „Deportiert 1942“, steht auf beiden Steinen. „Ermordet in Maly Trostinec.“ Helene Mayer kam am 13. Juni 1875 in Flerzheim zur Welt, die Familie hatte ein Haus an der Ecke Swistbach/Nußbaumstraße. „Deportiert 1942  Theresienstadt  Ermordet 25.09.1942.“ Am 26. Januar 1883 wurde in Oberdrees Regina Weber geboren. Am Ende ihres Lebensweges steht: „Riga. Opfer der Shoa“. 

„Wohin ich immer reise, / ich fahr nach Nirgendland.“ Im Rahmen der Gedenkstunde in Rheinbach geben Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule den Strophen von „Kein Kinderlied“ musikalisch ihre Stimme – einem Gedicht von Mascha Kaléko, die vor den antisemitischen Pogromen in Deutschland selbst hatte fliehen müssen. Die Abiturienten fügen eigene Verse dazu: „Respekt wird von Menschen genährt.“

Die Erinnerung heute ermahnt eindringlich zur Wachsamkeit

Das überparteiliche Erinnern in Rheinbach macht den bundesweiten Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus – in jedem Jahr am 27. Januar, an dem sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz jährt – vor Ort lebendig. Der Gedenktag wurde im Jahr 1996 von Roman Herzog begründet, in seiner Amtszeit als Bundespräsident: „Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen." 

Peter Spaak. Wladislaus Talzschaview. Wladislaw Dedjarew. Einen Tag vor der Befreiung in Auschwitz werden im Rheinbacher Stadtwald aus nichtigem Grund drei junge Zwangsarbeiter aus der Ukraine erhängt: am 26. Januar 1945, am provisorisch errichteten Galgen. „Sie sollen hängen zum Gespött“, hallt der Zynismus der Täter bis in die Gegenwart.

Bürgermeister Ludger Banken und Oliver Krauß als Wahlkreisabgeordneter legten stellvertretend für die Gemeinschaft in Rheinbach einen Blumenschmuck im Innenhof des Rathauses nieder. In Stille und Gebet wurde aller gedacht, die in der Zeit des Nationalsozialismus willkürlich gequält und in den Tod gehetzt wurden – nur weil sie von woanders kamen, anders gesinnt waren oder anders lebten. 

Das harmlose Spiel war genug, um letztlich in den Tod getrieben zu werden, dokumentieren Abiturienten des Städtischen Gymnasiums. Dem „deutschen jüdischen Jungen“ Günther Ransenberg, der am Heiligabend des Jahres 1926 in Meschede geboren wurde, wird der Schneeballwurf auf ein „arisches“ Mädchen vorgeworfen. Am 15. April 1942 wird er in das Konzentrationslager Niederhagen in Westfalen gebracht. „Erhängen auf Anordnung des Reichsführers SS."

Es gibt „nichts Vergleichbares“ in der Geschichte der Menschen, hält Forschung zum Nationalsozialismus fest. 200.000 Täter und mehr. Hunderttausende Mitwissende. Das Mordgeschehen mit „bis zu 6,3 Millionen Opfern entzieht sich menschlicher Vorstellungskraft“ (Hans Mommsen). 

Wie hat es zu der Shoah kommen können? Wie war möglich, dass Zivilisation und Kultur, dass alles Dagewesene im Schutt des Dritten Reiches begraben wurden? Oliver Krauß greift aus der geschichtlichen Kontroverse die unerbittliche Verneinung des Nationalsozialismus auf, die sich immer weiter radikalisierte. Die Aktionsrichtung war das Dagegen: gegen Vielseitigkeit, gegen Bürgerlichkeit, gegen Vernunft und Fortschritt – der Antibolschewismus und, alles maßlos überragend, der Antisemitismus.

„Sehen wir die Davidsterne, die bei uns heute an Häuserwände geschmiert werden“, warnt der Landtagsabgeordnete aus Alfter an der Seite von Bürgermeister Ludger Banken: „Hören wir die Parolen. Die Angst in der jüdischen Gemeinde, ist absolut unsere Angst – dass es damals auch so angefangen hat.“

Nie wieder ist jetzt!

„Nie wieder ist jetzt.“ Zwei Tage nach dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus im Rheinbacher Rathaus, am 28. Januar 2024, kamen nach vorläufigen Schätzungen 5.000 Mitmenschen auf dem Himmeroder Wall zusammen, um gegen Antisemitismus im Hier und Jetzt, gegen Rechtsextremismus, Rassismus und jede Form menschlicher Erniedrigung Stellung zu nehmen. 

Aus allen Generationen, aus der bunten Wirklichkeit des Zusammenseins und aus allen demokratischen Parteien machen Mitmenschen deutlich, dass wir uns Rechtsstaatlichkeit und Demokratie niemals nehmen lassen. Am kommenden Samstag, 03. Februar 2024, ist eine Kundgebung in Meckenheim angekündigt: um 11 Uhr vor dem Rathaus, „für Haltung und Demokratie“. Um 13 Uhr wird an diesem Samstag auf dem Gottfried-Velten-Platz in Heimerzheim ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit gesetzt: „Jecken jäjen räächs – Swisttal so bunt wie der Karneval“.