Wir haben zu danken: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

20.01.2021

Mit unentwegter Wachsamkeit und mit gründender Nachdenklichkeit geht Freude über geschenkten Reichtum einher

Am 11. Dezember dieses Jahres 2021 wird es genau 1700 Jahre zurückliegen, dass der römische Kaiser Konstantin ein Gesetz erlässt, das „den Kölner Ratsherren erlaubt, Juden in den Rat zu berufen“. Eine „frühmittelalterliche Handschrift dieses Dokuments befindet sich heute im Vatikan“. Zu den genauen Inhalten des Dekrets aus dem Jahr 321 stellt der Landschaftsverband Rheinland Informationen zur Verfügung über das Blog-Angebot MiQua - LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln: Das Dekret von 321

Jenes Gesetz des Kaisers Konstantin gilt „als der älteste Beweis jüdischen Lebens nördlich der Alpen“. Die Fraktionen der demokratischen Mitte haben am 16. Dezember 2020 einen gemeinsamen Antrag (76 KB) in den nordrhein-westfälischen Landtag eingebracht, der nach der Beratung im Plenum in direkter Abstimmung einstimmig angenommen worden ist. Die Beschlussfassung ist begründet in dem großen Glück, dass jüdische Mitmenschen „wieder Vertrauen in Deutschland gefasst haben und es heute wieder ein vielfältiges jüdisches Leben gibt“, nach dem Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus. Der Landtag tritt in Vorlage, dieses Vertrauen „als selbstverständlichen Bestandteil unserer Gesellschaft zu schützen und zu unterstützen“.

Das Parlament stellt sich an die Seite des Vereins „321–2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland e. V.“, der  im Jahr 2018 gegründet wurde, um im Rückblick auf 1700 Jahre in diesem Jahr 2021 „das bundesweite deutsch-jüdische Festjahr unter der Dachmarke #2021JLID“ zu koordinieren und zu gestalten. „Ziel des Festjahres ist es, jüdisches Leben sichtbar und erlebbar zu machen und dem erstarkenden Antisemitismus etwas entgegenzusetzen.“

Der Verein geht auf die Initiative vornehmlich von Professor Dr. Jürgen Rüttgers zurück, dem vormaligen Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens. Sein Nachfolger Armin Laschet gehört zu den Unterstützern. Über seine Internetpräsenz – unter https://2021jlid.de – informiert der Verein über das gemeinschaftliche Engagement. Bundesweit werden im Rahmen der Würdigung viele hundert Veranstaltungen ausgerichtet: „Darunter Konzerte, Ausstellungen, Musik, ein Podcast, Video-Projekte, Theater, Filme“ und manches mehr. Ein Pandemie-Vorbehalt ist selbsterklärend.

Der Blick in Geschichte und Gegenwart wird in dem Festjahr 2021 „gerade weniger auf die jahrhundertelange Geschichte der Verfolgung, sondern vor allem auf die positiven und vielfältigen Akzente jüdischen Lebens in Deutschland damals und heute gerichtet“. Das nicht Abzulösende bleibt. Bezeichnend ist darauf hingewiesen worden, dass schon die Wortfindung heikel sein kann. Aufgerufen wird zu einem Festjahr. Den Begriff des „Jubiläums“, mit dem Bestandteil eines „Jubels“, verschatten die finsteren Zeiten unserer Geschichte.

Große Dankbarkeit für die Bereicherungen, das aufblühende Leben, das Miteinander

In der kommenden Woche, am 27. Januar 2021, wird sich der Jahrestag der Befreiung der Gefangenen im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau durch Truppen der Roten Armee zum 76. Mal jähren. Am 3. Januar 1996 begründete der damalige Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar als wiederkehrenden Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Aufgrund der Pandemie sind wir in diesem Jahr gehalten, der Opfer der deutschen Diktatur im privaten Raum zu gedenken, ihnen Ehre, Demut und Respekt zu bezeigen. Sobald das Pandemiegeschehen es zulässt, werden wir wieder in der Gemeinschaft erinnern. Eingedenk der eindringlichen Worte Roman Herzogs, dass die Erinnerung nicht enden darf: „Sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen."

Die hochkonzentrierte Wachsamkeit und die sensible Nachdenklichkeit sind bleibend. Sie gehen in diesem Festjahr mit der großen Dankbarkeit dafür einher, dass jüdisches Leben in der Bundesrepublik neu aufgeblüht ist, und gleichfalls mit der Dankbarkeit für die Vielfalt und Kultur, die das Judentum über die Jahrhunderte hinweg stiftet.

In seinem Buch „Sie waren Nachbarn“ hat der Pädagoge und Historiker Dr. Horst Mies im Blick auf die Stadt Rheinbach beschrieben, dass die „Wohnungen und Häuser“ der jüdischen Familien geschichtlich „über den ganzen Bereich der Stadt verteilt [waren]: Hauptstraße, Koblenzer Straße, Polligstraße, Prümer Wall, Münstereifeler Straße, Turmstraße, Neustraße (heute Schweigelstraße), Kriegerstraße, Bahnhofstraße“. Im historischen Gedächtnis von Bornheim-Walberberg ist erhalten, dass „noch um [das Jahr] 1900 der jüdische Bürger Josef Horn immer einen Ochsen reich geschmückt durchs Dorf getrieben“ hat. Auf den Seiten der Stadt wird das dokumentiert: „Das Tier wurde anschließend geschlachtet. Und zum großen Festschmaus durften auch die Christen des Ortes dazukommen, was von einem starken und einvernehmlichen Miteinander zeuge.“

Das Entdecken und Wiederentdecken, die kulturelle Neugier, die Begegnung, das Kennenlernen und das gemeinsame Feiern: Dazu lädt das Festjahr aus Anlass der belegten 1700-jährigen Geschichte des Judentums nördlich der Alpen ein. In der Kölner Altstadt, am Rathausplatz wird das Jüdische Museum MiQua, Museum im Quartier, gebaut. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker wird zitiert, dass mithin „die jüdische Geschichte Kölns wieder dorthin rücken [wird], wo sie hingehört, nämlich in die Mitte unserer Stadt“. Die Bildhaftigkeit – für ein freiheitliches und unbeeinträchtigtes Zusammenleben, in dem wir einander viel zu schenken haben – übersetzt die geschichtlich innige Verbundenheit von kulturellem Leben und religiösen Wurzeln in eine gute Zukunft, in der Antisemitismus, Extremismus und Verächtlichmachen keinen Platz haben, egal hinter welcher Maske.