Zur Wachsamkeit aufgeschreckt - Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus in Rheinbach

27.01.2020

"Bausteine der Erinnerung" an das namenlose Leid als Ecksteine der Zukunft - "Rheinbacher Sterne", um das Andenken an die Opfer zu retten.

Am 27. Januar 2020, hat sich die Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz mit dem „Vernichtungslager Birkenau“ zum 75. Mal gejährt. Während der Zeit des Nationalsozialismus haben allein in Auschwitz 1,1 bis 1,5 Millionen Mitmenschen den Tod gefunden – geschunden, entmenschlicht, ermordet.

Insgesamt wurden rund sechs Millionen Mitmenschen Opfer des Holocausts. Der Historiker Hans Mommsen ist zu dem Ergebnis gekommen, dass „die Anzahl der direkt an den Mordaktionen beteiligten Personen mit mindestens 200.000 [eine neuere Täterforschung geht von 200.000 – 250.000 aus] nicht zu hoch gegriffen [ist], während die Zahl der am Genozid indirekt beteiligten deutschen Staatsbürger ein Vielfaches davon betrug“.

Das Tagesdatum, an dem im Jahr 1945 das Konzentrationslager Auschwitz befreit wurde, hat der vormalige Bundespräsident Roman Herzog im Rahmen seiner Amtszeit zum jährlichen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus bestimmt: den 27. Januar eines jeden Jahres. Im Jahr 2005 erklärten die Vereinten Nationen den 27. Januar zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust (International Holocaust Remembrance Day).

Die Stadt Rheinbach mit Bürgermeister Stefan Raetz und der Landtagsabgeordnete Oliver Krauß hatten in Übereinstimmung mit der Initiative Roman Herzogs auch in diesem Jahr wieder zu einer öffentlichen parteiübergreifenden Gedenkstunde eingeladen. Sie fand am Montagmittag, 27. Januar 2020, im Foyer des Rheinbacher Rathauses statt - mit einer musikalischen Akkordeon-Untermalung von Antonello Simone und Malte Treder.

"Keine Gruppe der Gesellschaft hat damals vor dieser Prüfung bestanden, immer nur einzelne Charaktere haben sich als widerstandsfähig erwiesen."

Im Rahmen der Gedenkstunde erweckten Schülerinnen und Schüler der Rheinbacher Gesamtschule in einer Präsentation „Bausteine der Erinnerung“, in Wechselgesprächen, auf dem Fundament von persönlichen Eindrücken eines Schul-Besuchs in Theresienstadt. Dort, im Norden der heutigen Tschechischen Republik, wurden Häftlinge des NS-Repressions- und Vernichtungsapparates unter erbärmlichsten Bedingungen eingesperrt. 33.000 Menschen verloren in Theresienstadt ihr Leben, fast 90.000 wurden von hier aus weiter in die großen Vernichtungslager deportiert.

Schülerinnen und Schüler des Städtischen Gymnasiums in Rheinbach hatten „Rheinbacher Sterne“ vorbereitet: überhandflächengroße Scherenschnitte mit jeweils dem Namen einer Mitbürgerin/eines Mitbürgers aus der Glasstadt, die Opfer des NS-Menschheitsverbrechens wurden. Die gelbfarbenen Sterne wurden von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Rheinbacher Rathaus im Anschluss an die Gedenkstunde mitgenommen. Unterhalb des Namenszuges sind sie zudem mit Geburts- und Todesjahr beschriftet. Die Sterne tragen im Privatbesitz fortan dazu bei, die Andenken der Rheinbacher Opfer zu bewahren und zu retten: „alles, was wir heute noch für sie tun können“.

Auf drei junge Männer, die zu den Opfern aus Rheinbach gehören, ging Oliver Krauß in seiner Rede im Rahmen der Gedenkstunde ein, auch stellvertretend für die weiteren Opfer des Zugrunderichtens: auf Peter Spaak, auf Wladislaus Talzschaview und auf Wladislaw Dedjarew. Die drei jungen Zwangsarbeiter aus der Ukraine, die auf Rheinbacher Höfen an der Pützstraße, an der Hauptstraße und an der Polligstraße untergebracht waren, waren im Frost des 26. Januars 1945 erhängt worden, aus nichtigem Grund, an der „alten Esche im Stadtpark am Gräbbach“, am improvisierten Balken zwischen den Astgabeln, auf Geheiß des Rheinbacher NS-Bürgermeisters.

Die Verantwortung für das Geschehene ist keinesfalls exklusiv bei den NS-Schergen zu finden, machte Oliver Krauß deutlich: angefangen von alltäglicher Drangsalierung bis hin zu dem fabrikhaften Massenmord an den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, an den Sinti und Roma, an Menschen mit Behinderung, an den Andersdenkenden, an Menschen mit anderer sexueller Orientierung. Sondern: In der Szenenflucht einer „schubweisen, unglaublichen Brutalisierung“ wurden Mehrheiten erfasst. Keine Gruppe der Gesellschaft hat vor dieser Prüfung bestanden, immer nur einzelne Charaktere haben sich als widerstandsfähig erwiesen, haben Historiker aufgezeigt.

Anschläge von Halle:  „Wie weit das noch geht, weiß man nicht so richtig, man hat immer ein mulmiges Gefühl."

Im Gegenwartsbezug setzte Oliver Krauß beispielhaft die Nähe der heutigen Synagogen in Bonn und in Köln, an der Roonstraße, ins Bild: „Seit dem letzten Oktober, seit dem Anschlag in Halle, werden sie noch besser geschützt, wie auch in Bielefeld, in Bochum, Dortmund, Essen, Minden, Münster, Unna oder Wuppertal. Rund um die Uhr. Zudem ist die Sicherung für andere jüdische Einrichtungen intensiviert worden: von den Schulen bis zu den Altenheimen.“

Die Zahl der antisemitischen Straftaten in Nordrhein-Westfalen habe zuletzt zugenommen, belegte der Abgeordnete. Dazu gab er eine Stimme aus der jüdischen Gemeinde wieder, nach den Anschlägen in Halle: „Wie weit das noch geht, weiß man nicht so richtig, man hat immer ein mulmiges Gefühl“.

Antisemitismus und Rassismus, Hass und Gewalt haben durch Wortführer der Außenpartei einen unerträglichen Resonanzraum in den Parlamenten erobert, auch im Düsseldorfer Landtag. „Wir sind zur Wachsamkeit aufgeschreckt: ganz genau hinzusehen, couragiert einzuschreiten“, so Oliver Krauß.

An der Seite von Bürgermeister Stefan Raetz wertete Oliver Krauß das Zusammenstehen der Bürgerinnen und Bürger in Rheinbach, mit Vertretern aus allen demokratischen Parteien, als sehr wichtiges Zeichen. „Besonders das Dabeisein und das Mitwirken der Schülerinnen und Schüler ist unverzichtbares Signal der Ermutigung, den Blick nicht zu verschließen, sich auseinanderzusetzen, Zivilcourage zu zeigen: ‚Sie nehmen die Erinnerung auf und übersetzen Sie in die Zukunft: in Tagen, in denen wir Zeitzeugen verlieren‘“, drückte Oliver Krauß im Rathaus dankbar aus.

Bürgermeister Stefan Raetz und Oliver Krauß legten zum Ende der Veranstaltung an der Gedenktafel für die jüdischen Mitmenschen aus Rheinbach, die Opfer der Mordtaten wurden, im Innenhof des Rathauses einen Blumenschmuck nieder, in Demut, Respekt und Gebet.

Im ehrenden Gedenken

 

Am Vormittag des 27. Januar 2020 hat im Beisein von Oliver Krauß ebenfalls die Gemeinde Swisttal auf dem Jüdischen Friedhof in Heimerzheim der Opfer des Nationalsozialismus gedacht, auf Initiative von Bürgermeisterin Petra Kalkbrenner, mit bewegenden Beiträgen von Schülerinnen und Schülern der Georg-von Boeselager-Schule.

In Ehrerbietung gegenüber den Opfern gab es auf dem Jüdischen Friedhof in Alfter am frühen Abend des 27. Januars einen gemeinsamen Schweigegang mit Lichtern, zu dem der Gemeindeverband der CDU eingeladen hatte: mit Vertreterinnen und Vertretern aus den verschiedenen Fraktionen des Gemeinderates, mit Bürgermeister Dr. Rolf Schumacher und Oliver Krauß. Die Alfterer Bürgerinnen und Bürger stellten im respektvollen Gedenken an die Opfer Kerzen auf.