Folgen des Brexits: Enquetekommission des Landtags verabschiedet Abschlussbericht

12.01.2021

Handels- und Kooperationsabkommen hilft, kann über die Wirklichkeit des Brexits aber nicht hinwegtäuschen - NRW ist vorbereitet

Der nordrhein-westfälische Landtag hat am 11. Oktober 2018 einstimmig die Einrichtung einer Enquetekommission beschlossen: „zum bevorstehenden Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit) im Hinblick auf die Folgen und Auswirkungen für Nordrhein-Westfalen“.

Am jetzigen Dienstag, 12. Januar 2021, hat die Enquetekommission ihren Abschlussbericht verabschiedet. Der Sprecher der nordrhein-westfälischen CDU-Landtagsfraktion für Europa und Internationales, Oliver Krauß, hat als ordentliches Mitglied in der Kommission mitgearbeitet. Er würdigt die besonders engen Beziehungen zwischen Nordrhein-Westfalen und dem Vereinigten Königreich als maßgeblich für die „Energieleistung“ der Kommission, Schlussfolgerungen aus der Trennung innerhalb der Gemeinschaft zu ziehen und darauf Handlungsempfehlungen zu gründen:

An der Seite der Landesregierung und im Einklang mit der Bundesregierung ist die Kommission in ihrer demokratischen Mitte von dem Willen geleitet worden, eine künftige Partnerschaft so eng zu gestalten, wie das unter den Bedingungen des Austritts möglich ist. Es ging und geht um die Rechte der Bürgerinnen und Bürger, um Brücken über die wirtschaftliche Entflechtung, um Rückhalt für das gegenseitige gesellschaftliche Verhältnis, dies- und jenseits des Ärmelkanals.

Historische enge Beziehungen, die institutionell unterbaut und zwischenmenschlich weitergetragen werden

Die Arbeit der Enquete-Kommission hat von Beginn an alle denkbaren Brexit-Szenarien untersucht. Dass am 24. Dezember 2020 eine Einigung über ein Handels- und Kooperationsabkommen hergestellt werden konnte, wertet Oliver Krauß letztlich als „Lichtblick unter den gegebenen Umständen“:

Die Entscheidung des Vereinigten Königreichs, die Europäische Union mit Ablauf des 31. Januars 2020 zu verlassen, ist für die Gemeinschaft in Europa ein großer Rückschlag. Denn das Auseinandergehen ist die genau verkehrte Reaktion auf die Herausforderungen, vor denen wir weltweit stehen. Um sich in den internationalen Konfliktlagen behaupten zu können und vor allem um unsere wirtschaftlichen sowie ökologischen Interessen zu sichern, braucht es unabdingbar den Zusammenhalt.

Nordrhein-Westfalen trifft der Brexit besonders schmerzlich. Durch die ‚Vernunftehe‘ des Rheinlandes und Westfalens, mit der ‚Operation Marriage‘, wurde unser Bundesland von Großbritannien gegründet. Heute leben rund 25.000 Briten in Nordrhein-Westfalen. Mehr als 1.400 britische Unternehmen haben sich bei uns angesiedelt. Das sind mehr als 22 Prozent aller britischen Unternehmen in der Bundesrepublik. Sie stehen für 130.000 Arbeitsplätze. NRW ist führender Investitionsstandort.

Dass es zuletzt noch geschafft wurde, die langfristigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich mit einem Abkommen zu unterbauen und die Voraussetzungen für Zölle und Quoten abzumildern, ist zwar eine Erleichterung, doch fehlt die langfristige Garantie. Die enge Sicherheitspartnerschaft, die Entschärfung des Konfliktpotenzials an der Grenze zwischen Irland und Nordirland, mit Wahrung des Karfreitags-Abkommens: Das sind große Errungenschaften, die es zu bewahren gilt. Diese Verhandlungserfolge auf den ‚letzten Metern‘ können jedoch nicht über die Wirklichkeit des Brexits hinwegtäuschen, mit der die Partnerschaft in einer Zollunion vertan ist, mit der die gemeinsame Verpflichtung auf EU-Regeln und EU-Standards entfällt.“

Eine Übersicht über die "Große[n] Veränderungen im Vergleich zu den Vorteilen der EU-Mitgliedschaft" Stand Dezember 2020, gibt es hier: Übersicht der Europäischen Kommission (181 KB).

Auswirkungen dieses Bruchs, die in der Übergangsphase kaum zu spüren waren, werden jetzt deutlicher hervortreten, warnt Oliver Krauß. Zum Beispiel in der Wissenschaft, wo der ungehinderte Austausch von Studierenden keine Selbstverständlichkeit mehr sein kann: Inwieweit ein eigenes britisches Förderprogramm für Studierende das Europäische Erasmus+-Programm adäquat ersetzen kann, bleibt abzuwarten. Lieferketten würden durchtrennt, Urlaube erschwert. Die Städte und Gemeinden müssen als öffentliche Auftraggeber mit mehr Aufwand in der Vergabepraxis rechnen.

Leitfäden, um mutig und zuversichtlich in die Zukunft zu gehen

Darauf hat die Enquetekommission vorbereitet, in Zusammenarbeit mit den Experten der Industrie- und Handelskammer, verschiedener Verbände, Stiftungen oder Gewerkschaften. Oliver Krauß: „Die Entscheidung für einen geordneten Brexit ist ein Signal der Ermutigung, in diesem Jahr 2021 zu einer wirtschaftlichen und vor allem gesellschaftlichen Erholung zu kommen, unter den zusätzlichen Eindrücken der Pandemie. Von der Gründung Nordrhein-Westfalens an sind die engen Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich zwischenmenschlich weitergetragen worden. Die erlebte Realität und Freundschaft sind Stützen, um über das Abkommen vom 24. Dezember 2020 hinauszugehen: zivilgesellschaftlich und bilateral, auch unterhalb der staatlichen Ebene.

Eine Anregung der Kommission ist ein Freundschaftsvertrag zwischen dem Vereinigten Königreich und der Bundesrepublik. Im nordrhein-westfälischen Interesse wird die konkrete Überlegung angestellt, die Zusammenarbeit mit England, Wales, Schottland, Nordirland sowie mit deren dezentralisierten Gebietskörperschaften zu intensivieren. Die Empfehlungen rücken ferner die Gründung eines „bilateralen deutsch-britischen Jugendwerks“ in den Blick. Die Chancen, ein bestehendes Kulturabkommen inhaltlich weiterzuentwickeln, sollen austariert werden.

Oliver Krauß: „Die Arbeit der Enquetekommission gibt Leitfäden in die Hand, um trotz der Folgen des Brexit mutig und gemeinsam in die Zukunft zu gehen. Über die Koordinierung unserer Beziehungen auf veränderter Grundlage, über die praktischen Hilfen oder einen Bürgerfonds hinaus ist die konkrete menschliche Gemeinschaft ausschlaggebend, wie sie zum Beispiel in 140 Städte- und Gemeindepartnerschaften zwischen NRW und dem Vereinigten Königreich wachsend lebendig wird. Das wollen wir noch stärker ausbauen.

Die Beratung des Abschlussberichts im Plenum des nordrhein-westfälischen Landtags ist für Ende März 2021 geplant.